Fast nix los auf den Straßen. Lediglich eine Pferdekutsche und zwei Taxen umkurven den Neumarkt. Über die Deutzer Brücke fährt genau ein Tandem. Die Bundesregierung hat für diesen 25. November 1973 ein deutschlandweites Fahrverbot verhängt – schuld ist die Ölkrise…
Willy Brandt verkündet Fahrverbot im TV
Fahrverbot! „Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wird sich morgen und an den drei folgenden Sonntagen vor Weihnachten unser Land in eine Fußgänger-Zone verwandeln“, kündigt Bundeskanzler Willy Brandt am 24. November 1973 in einer TV-Ansprache an. Ein einmaliges Experiment – und für alle ein Erlebnis.
Klapprad für 78 Mark bei „Schlembach“
Wie wär’s mit einem Fahrrad?“ So wirbt „Schlembach am Friesenplatz“ vor dem ersten autofreien Sonntag. Und bietet das „Klapprad 20 Zoll“ für 78 Mark an. Die Kunden reagieren: Der Fahrradhandel vermeldet ein Umsatzplus von mehr als 20 Prozent. Nur am ersten der vier autofreien Sonntage.
Am ersten autofreien Tag selbst nehmen es die Kölner dann gelassen – sie feiern diesen Tag geradezu! Es geht mit dem Rädchen und sogar auf Rollschuhen auf die Autobahn, man genießt die Ruhe in der Stadt und macht einen Schaufensterbummel.
ADAC fordert„Freie Fahrt für freie Bürger“
Derweil macht der ADAC mit dem Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“, die er auf eine Million Aufkleber hat drucken lassen, mobil. Der Glaubenskampf fürs Auto gewinnt der Club übrigens am Ende: 1974 sind autofreie Sonntage und Geschwindigkeitsbegrenzungen vom 100 km/h auf Autobahnen wieder Geschichte.
Backen statt Ausflug ins Grüne
Am ersten autofreien Sonntag hält sich in Köln die Aufregung in Grenzen. „Also, so was hab ich mein Lebtag noch nicht erlebt“, staunt eine Lebensmittelhändlerin aus Weidenpesch. „Jetzt wo niemand mehr rausfahren darf, fangen die Leute das Backen an. Mehl, Rumaroma, Vanillezucker – alles ausverkauft.“
Ob Basteln, Urlaubsfotos sortieren oder die Zeit mit Quartett- und Würfelspielen verbringen: die meisten halten es wie Ute und Ferdi Schneider: „Für uns ist dieser Sonntag ein gemütlicher Gammeltag. Wir schlafen lang, frühstücken in aller Ruhe, haben mal Zeit.“
Auslöser ist der Angriff auf Israel
Grund für das Sonntags-Fahrverbot ist Ölkrise, die Deutschland 1973 voll im Griff hat. Auslöser ist der Jom-Kippur-Krieg. Am 6. Oktober wird Israel vom ägyptischen und syrischen Angriff überrascht.
In diesem Konflikt setzen die arabischen Förderländer ihr Öl erstmals als politisches Druckmittel ein: Am 17. Oktober 1973 beschließt die Organisation der Arabischen Erdölexportierenden Staaten (OAPEC), Produktion und Export von Erdöl um je fünf Prozent gegenüber dem September 1973 zu verringern.
Ölpreis vervierfacht sich innerhalb eines Jahres
Die Krise versetzt der florierenden deutschen Nachkriegswirtschaft einen nicht unerheblichen Dämpfer. Innerhalb eines Jahres vervierfacht sich der Preis für Rohöl von drei Dollar pro Barrel (159 Liter) auf bis zu zwölf Dollar. 1974 kostet der Liter Benzin 83 Pfennig, zehn Jahre später 1,31 DM. Seither kennt der Preis (fast) nur eine Richtung – nach oben…
Dieser Artikel wurde verfasst von Inge Wozelka
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