Mit 230 km/h am Limit: Wie ich auf einer Formel-1-Strecke an meine Grenzen stieß
“Die fahren doch nur im Kreis”, ist wohl eines der gängigsten Klischees über Rennfahrer. Nach zwei Runden auf einer Formel-1-Strecke weiß unser FOCUS-Online-Autor, was es wirklich bedeutet, ein Auto am Limit zu bewegen.
Mein Fahrer spricht nicht. Dabei wären ein paar erklärende oder zumindest beruhigende Worte durchaus nett gewesen, immerhin sitze ich festgezurrt auf dem Beifahrerplatz eines BMW 3.0 CSL und starre die Zielgerade des Hockenheimrings hinab.
Dort, wo sonst Sebastian Vettel mit seinem hochgezüchteten Formel-1-Ferrari entlangrast, da stehe jetzt ich und komme mir ziemlich klein vor.
Die steil aufragenden Tribünen, das knurrende Auto und mein schweigsamer Pilot flößen mir, das gebe ich unumwunden zu, Respekt ein. War das wirklich so eine gute Idee, an einer “Taxifahrt” mit einem DTM-Auto teilzunehmen, denke ich noch – dann presst mich die Beschleunigung in den Sitz.
Runde 1: Euphorieschub bei Tempo 230
Der BMW 3.0 CSL Baujahr 1973 mit 370 PS ist ein Wagen, der wohl so manchem Motorsport-Fan die ein oder andere Nostalgie-Träne entlockt. Ein formvollendeter Renn-Oldtimer mit Tradition.
Mir hingegen ist das während des 420 Meter langen Vollgas-Sprints auf die erste Kurve zu herzlich egal, denn die Person in meinem linken Augenwinkel scheint nicht nur äußerst wort-, sondern ebenso nervenarm zu sein – wann bitte bremst der Mann endlich?
In diesem Moment lerne ich, was es bedeutet, ein Auto am Limit zu bewegen. Jede Zehntelsekunde kürzer auf Bremse bedeutet eine Zehntelsekunde länger auf dem Gaspedal – dazwischen gibt es nichts. Mit knapp 190 km/h schießen wir über den Randstein der ersten Kurve.
Auf der langgezogenen Parabolika, nach Kurve drei bis fünf, erreicht der BMW seine Höchstgeschwindigkeit. Privat fahre ich übrigens einen elf Jahre alten Volvo. Während der Anfahrt aus München flackerte im Sekundentakt die Fehlermeldung “Standlicht Glühlampe defekt” auf – das macht er immer bei Geschwindigkeiten jenseits der 120 Stundenkilometer.
Ob mein sonst so gemächlicher Fahrstil der Grund für den plötzlichen Euphorieschub ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch mit 230 km/h auf die Spitzkehre einer Formel-1-Strecke zuzurasen, das ist fernab jeglicher Normalität.
Es ist laut, es ist wild und es ist unvernünftig – schlicht genial. Die restliche Runde ist ein Genuss aus Fliehkraft, Bremsverzögerung und brachialer Beschleunigung.
Runde 2: Hoffentlich ist bald Schluss
Ich bin kein guter Beifahrer – oder um es präziser auszudrücken: Mein Körper ist es nicht. Noch nie habe ich verstanden, wie Menschen während der Fahrt lesen, sich auf einem Schiff den Wanst vollschlagen oder auf Passstraßen in der letzten Reihe eines Reisebusses entspannen können. Meine aktuelle Situation erscheint dabei ähnlich prekär. Denn: Mir ist schlecht.
Spätestens seit der zweiten halsbrecherischen Durchfahrt der Spitzkehre ist auch der letzte Rest Euphorie verflogen. Was ich vor wenigen Minuten noch als Genuss empfunden habe, wandelt sich binnen weniger Kurven in einen quälenden Kampf gegen meinen eigenen Magen.
Viel schlimmer ist jedoch die Frage, ob wir uns überhaupt schon auf der letzten Runde befinden. Der gute Mann, der neben mir gnadenlos den Schaltknüppel malträtiert, hielt es ja nicht für nötig, mir wenigstens kurz die Rahmenbedingungen meines Höllenrittes mitzuteilen.
Im letzten Streckenabschnitt, dem sogenannten Motodrom, schlängelt sich die Piste bewusst umständlich in Richtung Start und Ziel. Gut für die Zuschauer während des Rennens, schlecht für meinen Magen und mich. “Hoffentlich ist bald Schluss”, denke ich und blicke verkrampft auf die Straße.
Mit seinem rasanten Fahrstil lässt mich mein Fahrer bis zur letzten Sekunde im Unklaren, ob er tatsächlich in die Boxengasse abbiegt oder den Motor ein drittes Mal auf knapp 7000 Umdrehungen hochjagt. Kurz darauf reißt mich die Bremswirkung ein letztes Mal in den Gurt und wir rollen aus – Glück gehabt.
“Coole Nummer”, murmle ich noch unter meinem weißen Helm hervor, dann steige ich aus. Was für eine Fahrt!
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bhi
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